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Landen Job-Dossiers von ü50 im Altpapier?

Die Thematik ü50 beschäftigt mich sowohl beruflich als Job Coach, wie auch politisch. Vor einigen Tagen las ich auf IN$IDE PARADEPLATZ und in einigen Foren auf Social Media, wie sich Konzerne und der grösste Stellenvermittler der Schweiz, bei Bewerbungen von Kandidat*innen verhalten, welche älter als 50 sind. "Die Sachbearbeiterin von Adecco hat mir soeben am Telefon folgendes Statement abgegeben: Die (Firmen-)Kunden bezahlen uns nichts, wenn wir Dossiers von ü50 anbieten". Auf 11 Bewerbungen auf Stellenangebote von Adecco, erhielt die Bewerberin oder der Bewerber nach eigenen Angaben spätestens nach einem Tag, teilweise schon nach Stunden eine Absage. 

 

Auch öfters höre und lese ich, dass behauptet wird, dass die Rekrutierungsplattformen der Firmen so eingestellt sind, dass automatisch eine Absage verschickt wird, wenn jemand über 50 sich bewirbt. 

 

Vor meiner Tätigkeit als Job Coach war ich viele Jahre in Personalabteilungen tätig, unter anderem gehörten auch Rekrutierungen zu meinem Zuständigkeitsgebiet. Das liegt zwar bereits fünf Jahre zurück, es würde mich aber erstaunen, wenn die Unternehmen ihre Vorgehensweis in dieser Zeit so drastisch verändert hätten. Eine spezifische interne Regelung, dass ü50 zu benachteiligen sind, ist mir aus meiner Zeit in den Personalabteilungen nicht bekannt. Aber ich wollte es genauer wissen und habe daher fünf Konzerne direkt um eine Stellungnahme gebeten. Konkret habe ich die Firmen gefragt ob bei ihnen die Personalabteilungen Dossiers von ü50 bewusst aussortierten und ob das allenfalls bereits das Rekrutierungstool übernehme. Angefragt habe ich Adecco, Swiss Life, COOP, Migros und Swisscom. 

 

Alle fünf Konzerne haben rasch und umfassend meine Fragen beantwortet. Swiss Life wies darauf hin, dass sie im Schnitt gut 15 Prozent über 50-Jährige bei Neuanstellungen berücksichtigen. 2018 waren dies insgesamt 57 Neuanstellungen. Darüber hinaus engagiere sich Swiss Life auch in Projekten zur Integration von älteren Arbeitnehmenden. So wurde 2016 entschieden, Praktika anzubieten, sogenannte "Stage 50+". Dies geschehe in Zusammenarbeit mit Organisationen zur Arbeitsmarktintegration. Prioritäres Ziel von "Stage 50+" sei eine verbesserte Integration ins Arbeitsleben. Die Stellensuchenden sammeln über einen befristeten Zeitraum neue Erfahrungen. Sie erlangen berufliche Referenzen und erhalten ein Arbeitszeugnis. Für Swiss Life stehe die Diskussion zur Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit aufgrund der demographischen Entwicklung - auch im Sinne eines längeren, selbstbestimmten Lebens ihrer Kunden - weit oben auf der Agenda. 

 

Die Adecco Gruppe gibt an, dass sie sich weltweit verschiedentlich für ü50 Mitarbeitende einsetzte. Der Chief Marketing & Communications Officer nahm kürzlich an einer Podiumsdiskussion von LHH teil, an dem auch die Länderchefin Schweiz, Österreich, Luxemburg und Belgien teilnahm. Mit einem umfassenden Fact Sheet weist denn Adecco auf den versteckten Marktvorteil der ü50 hin: Der demografische Wandel und Fachkräftemangel machen die Nutzung aller Arbeitskräftepotenziale unentbehrlich für eine erfolgreiche Zukunft. 

 

Auch die Migros betont, dass sie bewusst keine Software einsetze, die automatisiert nach Alterskriterien ausselektioniert. Eine Diversität in Bezug auf Geschlecht, Herkunft und Alter sei dem Migros-Genossenschafts-Bund wichtig. 

 

Die Swisscom entgegnete meine Anfrage wie folgt: Im Rahmen unserer Rekrutierungsprozesse ist es uns wichtig, alle eingehenden Bewerbungen gleich zu behandeln, ungeachtet von Alter, Geschlecht oder Herkunft. Warum ist dies für uns eine wichtige Grundhaltung? Einerseits trifft der Fachkräftemangel die IT-Branche in besonderen Ausmass, zusätzlich verstärkt durch die demographische Entwicklung. Andererseits ist uns Diversität ein grosses Anliegen, weshalb wir auch unterschiedliche Altersgruppen in unserem Unternehmen vereinen. Daher fördern und entwickeln unsere über 900 Lernenden und ca 150 Praktikantinnen und Praktikanten in gleichem Masse wie wir auch den erfahrenen Professionals ein attraktives Umfeld bieten wollen. Unserem Nachhaltigkeitsbericht 2018 können Sie entnehmen, dass 2018 11.3% der Eintritte Personen über 50 Jahre waren.

 

Der Leiter von HR COOP erwähnte telefonisch, dass im vergangenen Jahr bei COOP über 500 Einstellungen von Mitarbeitenden im Alter von über 50 stattgefunden haben. Er betonte auch, dass das SAP-basierende Stellenportal keine Dossiers von Menschen über 50 ausselektioniere. Eine solche Praxis werde ganz bewusst nicht angewandt. Er gab aber an, dass in gewissen körperlich anstrengenden Berufen ein geringerer Anteil von ü50 beschäftigt würden. 

 

Im Vorfeld meiner Abklärungen, gab man zu bedenken, dass die Anfragen nichts bringen würden, da die Firmen alles "schönreden" und sich "rausreden" würden. Meiner Ansicht nach bringt es nichts, wenn man versucht die Verantwortung für die Problematik ü50 auf die Firmen und die Wirtschaft zu schieben. Wie die Antworten der Firmen zeigen, ist man sich der Thematik bewusst und unternimmt auch einiges. Die Problematik lässt sich nur gemeinsam MIT den Firmen und Wirtschaftsvertretern angehen. 

 

Ein Grund, welcher ältere Arbeitssuchende benachteiligt gegenüber jüngeren sind Bildungs- und Weiterbildungsdefizite. Die Ausbildung der über 50-jährigen liegt häufig schon mehrere Jahre zurück. Selbst wenn die Betroffenen lange bei der gleichen Firma angestellt waren und sich durch Praxiserfahrung und Weiterbildung zusätzliche Fähigkeiten angeeignet haben, sind diese meist sehr firmenspezifisch. An einer neuen Arbeitsstelle ist dieses Wissen nicht immer relevant. Der rasante technologische Umbruch der letzten Dekaden hat betreffend Ausbildung und Anwenderkenntnissen die Ausgangslage am Arbeitsmarkt für ältere Arbeitslose zusätzlich erschwert. 

 

Eine Verantwortung sich selbst fit für den Arbeitsmarkt zu erhalten, liegt auch bei den Betroffenen selber. Ich erlebe im Beratungsalltag oft, dass ältere Stellensuchende seit Jahren (teilweise Jahrzehnte) keine Weiter- oder Ausbildungen mehr absolviert haben.

 

Ich will die Thematik oder Problematik nicht verharmlosen, und ich erlebe diese ja tagtäglich in meinem Beratungsalltag als Job Coach. Aber es ist mir wichtig, bei Fakten zu bleiben und  nicht Verschwörungstheorien zu unterstützen. Diese bringen uns nicht weiter.  

 

Mehr zu der Thematik in einem früheren Beitrag von mir: 

 

https://www.danielcpeter.ch/2019/04/28/arbeitslosigkeit-50plus/