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Reform der Sozialhilfe - offener Brief an Ulrich Schlüer

Sehr geehrter Herr Schlüer

Ich beziehe mich auf den Artikel im Tagesanzeiger  https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Junge-und-Migranten-im-Fadenkreuz/story/22246839 und möchte Ihnen erläutern weshalb ich wenig davon halte bei der Sozialhilfe den Rotstift anzusetzen. 

Wie im Artikel zu lesen ist, sei das Ziel Ihrer Gruppe, die Leistungen der Sozialhilfe zu senken und den Gemeinden mehr Spielraum zu geben beim Auszahlen der Leistungen. Die Sozialhilfe soll sich nach den bisher geleisteten Steuern und AHV-Abgaben richten. Junge und Migranten würden schlechter fahren. Es wird Ihre Kollegin, Frau Therese Schläpfer, Gemeindepräsidentin von Hagenbuch zitiert, welche meint, die Abstufung der Sozialhilfe nach Alter und bisheriger Leistung sei richtig. Dies alles nach dem Vorbild des basellandschaftlichen Entscheides, den Grundbedarf von 986 Franken auf 690 Franken zu senken, und mit einer "Motivationsentschädigung" eine stufenweise Erhöhung bis auf das alte Niveau zu ermöglichen.

 

Grundsätzlich unterliegt m.E. sowohl Ihr Ansatz wie auch der Entscheid von Baselland zwei Denkfehlern. Der Grundbedarf ist keine Rente, er deckt eben den GRUNDBEDARF. Und dieser ist unabhängig vom Alter gleich. Es handelt sich nicht um eine Leistung welche sich nach Beitragsjahren und der einbezahlten Beiträgen richtet. Es ist schlicht und einfach die Zahlung des Grundbedarfes für Menschen die in Not geraten sind. Und daran sollte man nicht rütteln. 

 

Die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) werden vom Vorstand oder der Mitgliederversammlung gefällt. Im Vorstand sind alle Vorstehenden der kantonalen Sozialämter, Vertreter von Städten, Gemeinden und Regionen, sowie der privaten Sozialhilfe vertreten. Diese Richtlinien welche durch kantonale Gesetzgebungen umgesetzt werden, garantieren, dass Sozialhilfeempfänger nicht unter dem "Kantönligeist" oder der Willkür von kommunalen Sozialarbeiter_innen zu leiden haben. Der von Ihnen geforderte Spielraum der Gemeinden ist bereits gegeben, da mit der Integrationszulage oder weiteren Zuwendungen Möglichkeiten vorhanden sind. Eine zusätzliche Verschärfung der Bestimmungen für Migrant_innen ist nicht notwendig, da greift das neue Ausländer- und Integrationsgesetz, welches ab Sommer 2018 umgesetzt wird. Aktuell hat sich die Praxis der Migrationsämter auch bereits drastisch verschärft. Aufenthaltsbewilligungen werden wegen Sozialhilfebezugs nicht verlängert, Niederlassungsbewilligungen werden wegen Sozialhilfebezugs widerrufen. Ausserdem erfolgen auch Nichtverlängerungen von Aufenthaltsbewilligungen und der Widerruf von Niederlassungsbewilligungen wegen Schulden. Selbst im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens geregelte Migrant_innen werden mit einer Nichtverlängerung von Aufenthaltsbewilligungen oder dem Entzug der Niederlassungsbewilligungen wegen Sozialhilfebezugs bestraft. Ob es sinnvoll ist, dass das wirtschaftliche Interesse über die Grundrechte gestellt wird, wage ich persönlich zu bezweifeln. 

 

Über Reformen der Sozialhilfe nachzudenken, halte ich selbstverständlich auch für sinnvoll. Aber wir erwarten wohl beide etwas ganz anderes als Zielsetzung einer solchen Reform. Kurzfristige Einsparungen halte ich für die falsche Entscheidung. Vielmehr sollte massiv mehr in die Sozialhilfe investiert werden. Nicht in Direktzahlungen an die Sozialhilfeempfänger, sondern in die Betreuung dieser. Eine Studie in der Stadt Winterthur hat ergeben, dass wenn Sozialarbeiter_innen anstatt für 145 nur noch für 75 Dossiers von Sozialhilfebezügern zuständig sind, pro Fall Nettokosten von 1450 Franken gespart werden können. Insgesamt ein Sparpotential von 4,2 Millionen Franken. Diese Einsparungen könnten für zusätzliche Investitionen in die Bildung der Betroffenen verwendet werden. Denn nicht die Kürzung des Grundbedarfes und Sanktionen führen zum Ziel, sondern drastische Investitionen in die Bildung und Integration. Der kurzfristige Spargedanke kommt uns langfristig teuer zu stehen. Mit einer Kürzung des Grundbedarfes wird eine Integration in die Gesellschaft verhindert, der Zugang zum Arbeitsmarkt wird zusätzlich erschwert. 

Ein grosses Sparpotential sehe ich in der Wohnsituation von Sozialhilfeempfängern. Hier werden oft Platzierungen in betreutes Wohnen vorgenommen, weil kein Zimmer oder Wohnung erhältlich ist. Die dadurch entstehenden Kosten sind immens. Zudem nimmt man  Menschen unnötig die Selbständigkeit.

 

Oft werden in den Medien Einzelfälle an den Pranger gestellt, in meinem Beratungsalltag als Job Coach erlebe ich aber eine ganz andere Welt. Die Digitalisierung und die Veränderung des Arbeitsmarktes fordert ihren Tribut. Zusätzliche Sanktionen sind m.E. der falsche Ansatz, vielmehr müssen wir in die Bildung und die Arbeitsintegration investieren. Das würde ich von einer Reform der Sozialhilfe erwarten. 

 

Ich schreibe Ihnen diesen Brief nicht als Mitarbeitender einer Fachstelle, sondern als besorgte Privatperson und hoffe meine Zeilen regen Ihre Gruppe zum Nachdenken an. Ich erlaube mir, dieses Schreiben zum öffentlichen Nachdenken auch auf politnetz.ch und meinem Blog zu veröffentlichen. 

 

Freundliche Grüsse

 

Daniel Peter