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Abstimmung zu den Versicherungsspionen - Gesetzesänderung mit vielen Unklarheiten

Erste Tamedia-Umfrage

Die erste Tamedia-Umfrage über die Abstimmungen vom 25. November haben mich in Bezug auf das Gesetz zur Überwachung von Versicherten überrascht und irritiert. Insbesondere als überzeugter Pirat, aber auch als besorgter Bürger. 54% wollen der Gesetzesänderung zustimmen.

 

Wer sind diese 54% und was überzeugt sie?

In Kommentarspalten auf den sozialen Netzwerken und auf www.politnetz.ch gibt es immer noch öfters "Wer nichts zu verstecken hat, braucht sich auch nicht zu sorgen" zu lesen. "Nein zu massloser Überwachung, Nein zu Willkür und Nein zu Versicherungsfichen" scheinen da noch nicht angekommen zu sein. Die Kampagne hat erst gerade richtig begonnen anzulaufen und glücklicherweise haben auch der BLICK und die NZZ die Gesetzesänderung in letzten Artikeln verurteilt und kritisiert. Sie widerspricht den Grundlagen unserer Justiz. Rechtsstaatlichkeit und Gewaltentrennung adieu. Versicherungen können neu Überwachungen nach Gutdünken einleiten, ohne dass sie dabei kontrolliert werden. Kein Richter entscheidet über den Eingriff in die Privatsphäre.  

Fehlendes Verwertungsverbot

Das Gesetz sieht kein Verwertungsverbot für unrechtmässig erhobene Beweismittel vor. Falls sich also ein Versicherungsdetektiv nicht an die gesetzlichen Schranken der Überwachung hält, führt dies nicht automatisch zu einem Ausschluss der so erlangten Beweismittel in einem späteren Verfahren. Anders ist es in der Strafprozessordnung vorgesehen. Da dürfen rechtswidrig erlangte Beweise nur in seltenen Ausnahmefällen zugelassen werden. 

 

In der Frage der Verwertbarkeit von unrechtmässig erhobenen Beweismitteln stützt sich das Bundesgericht auf seine umstrittene Doktrin, dass diese Frage in einer Abwägung zwischen den involvierten privaten und öffentlichen Interessen von Fall zu Fall zu beantworten ist. 

Wer sind die externen Spezialistinnen und Spezialisten welche mit der Observation beauftrag werden?

Im Hintergrunddokument "Erfahrungen der Invalidenversicherung mit Observationen" des Eidgenössischen Departement des Inneren EDI wird zwar mit viel Zahlen aufgefahren, aber über die Qualität der Observationsergebnisse wird nichts erläutert.

 

Unter "Konzept zur Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs" wird zwar ausgeführt, dass die Observation als letzte Möglichkeit vorgesehen ist. In den Änderungen vom 16. März 2018 über das ATSG steht zwar, dass für Observationen folgendes gegeben sein muss: "aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die versicherte Person unrechtmässig Leistungen bezieht oder zu erhalten versucht; und die Abklärungen sonst aussichtslos wären oder unverhältnismässig erschwert würden". Aber wer prüft, dass die Versicherungsträger dies einhalten? "Für die Anordnung der Observation ist eine Person mit Direktionsfunktion im fallbearbeitenden Bereich oder im Bereich Leistungen des Versicherungsträgers zuständig." Also die Versicherungen selber. 

Das Gesetz sieht vor, dass die Versicherungsträger externe Spezialistinnen und Spezialisten mit der Observation beauftragen. 

 

Wer hat also die Observationen, auf welche sich das Dokument des EDI in Bezug auf Erfahrungswerte bezieht, durchgeführt? Die Grundlage als Privatdetektiv aktiv zu werden sind: ein sauberes Betreibungsregister, einen sauberen Strafrechtsauszug sowie einen Versicherungsnachweis für die Tätigkeit als Detektiv. Die Bewilligung wird dann genau so erteilt wie für private Sicherheitsleute; wie etwa ein Securitas-Mann der Objektbewachungen übernimmt oder als Türsteher tätig ist. Ob für die "Versicherungsdetektive" erhöhte Anforderungen eingeführt werden, ist zu bezweifeln. Wie eine Observation durchgeführt wird ist genau so wesentlich, wie die Sachkenntnis wie ein Observationsergebnis in einem Bericht festgehalten werden muss. Es steht zwar im Gesetzestext, dass der Bundesrat die Anforderungen an die Spezialistinnen und Spezialisten, die mit der Observation beauftragt werden, regelt. Man darf gespannt sein, ob er hier zusätzliche Kriterien wie eine Ausbildung erlässt, oder er die gleichen Anforderungen belässt, die er für frühere Observationen der IV zuliess. 

 

In der Praxis wird der Entscheid der IV nach Erhalt von umfassenden Gutachten gefällt. Wenn nun ein Gutachten einer Psychiaterin im Detail die Symptome erklärt und begründet, und die Observation etwas ganz anderes ergibt, was ist dann zu berücksichtigen? Gerade bei psychischen Erkrankungen hat die IV teilweise die ärztlichen Gutachten nicht berücksichtigt und eine Rentenkürzung wegen einer Observation vorgenommen: "XY lächelt und ist freundlich", "XY ist sonnengebräunt". Solche und andere lapidar klingende Begründungen können detaillierte medizinische Gutachten "aushebeln". In einem Gutachten das mir kürzlich vorgelegt wurde, stand, dass Herr XY zwar in seinem angestammten beruflichen Umfeld nicht mehr tätig sein könne, und es werde empfohlen, dass er einer Tätigkeit in einem Büro oder als medizinischer Masseur nachgehen solle. Herr XY ist über 60, hat nach über 30 Berufsjahren als Gleisbauer bei einem Umfall ein Auge verloren, hat noch nie in seinem Leben einen Computer bedient und eine Umschulung zum medizinischen Masseur schien auch recht wenig erfolgsversprechend. Glücklicherweise entschied dann auch die IV zu Gunsten von Herrn XY. In der Praxis wäre das wohl kein Fall für eine Überwachung gewesen, aber wer weiss das schon. Es läge ja nun im Ermessen der IV. Diese Schilderung soll einfach zeigen wie komplex und heikel, die Beurteilung welche zu einer Verfügung führt, ist. 

 

Es gibt viele Krankheiten und Einschränkungen, die auf einem Film oder Foto nicht sichtbar sind. Viele Symptome sind schwankend und oft von aussen nicht beobachtbar (zum Beispiel Antriebslosigkeit bei einer psychischen Erkrankung, Konzentrationsstörungen nach einer Hirnverletzung, Schmerz, Sensibilitätsstörungen). 

Sozialversicherungsbetrug ist zu stoppen, aber unter Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit

Der vom EGMR 2016 angemahnte Grundrechtsschutz wird faktisch mit der Gesetzesänderung über die wir abstimmen, nicht umgesetzt. Zudem wird mit der Gesetzesänderung der Rechtsgrundsatz unseres Justizsystems untergraben. Die Gewaltentrennung und die Rechtsstaatlichkeit ist nicht mehr gegeben. Es scheint, dass bewusst ein "Alibi-Gesetz" umgesetzt werden soll, das in der Eile stümperhaft verfasst wurde. 

 

Es kann nicht sein, dass ein Versicherungsangestellter weitergehende Rechte als die Polizei erhält.

 

Welche Gefahren eine unkontrollierte Überwachung birgt, hat der Fichenskandal gezeigt, welcher in den 80er-Jahren aufgedeckt wurde. 

"Sozialversicherungsbetrug ist zu Recht strafbar. Die Polizei und die Justiz haben die Kompetenz und die Instrumente, um Missbrauch strafrechtlich zu verfolgen. Versicherungen können neu Überwachungen nach Gutdünken einleiten, ohne dass sie dabei kontrolliert werden. Kein Richter entscheidet über den schweren Eingriff in die Privatsphäre". Dieses Argument von http://www.versicherungsspione-nein.ch/de überzeugt mich. 

Daher: NEIN zum Überwachungsgesetz am 25. November 2018!