Die Expert*innen des Bundes malten ein eher düsteres Bild der aktuellen Corona-Lage. Die Situation in den Spitälern war und ist sehr besorgniserregend. Es sind nicht in erster Linie die Spitalbetter, es ist vorallem das fehlende geschulte Personal. Der Druck auf Arbeitnehmende in den Spitälern und der Pflege ist seit Anfang der Pandemie immens. Lange Schichten, längere Zeit keine Ferien, stressige Arbeitstage; das hat auch dazu geführt, dass sich einige Mitarbeitende entschieden haben, den Job an den Nagel zu hängen. Personal zu finden ist recht schwierig, oft bleibt es über längere Zeit eine Unterbesetzung. Die Arbeit auf den Covid-Stationen mit den Schutzanzügen ist anstrengend. Die Menschen an den Beatmungsgeräten zu betreuen ist sehr intensiv, neben der Handhabung der Geräte gilt es auch einen Dekubitus (Wundliegen) zu verhindern.
Der Applaus im Frühjahr 2020 war sicherlich nett gemeint, aber das Personal ist am Anschlag und daher braucht es eine Entlastung und weniger Patient*innen auf den Intensivstationen. Nach den Sommerferien eskalierte die Situation mit den Reiserückkehrer*innen. Es ist einfach, jetzt den Behörden die Schuld zuzuschieben und es ist der beste Beweis, dass Eigenverantwortung nicht funktioniert. Viele der Balkanreisenden waren ungeimpft und belasteten das Gesundheitssystem in den betroffenen Ländern sehr.
Neun von zehn Covid-19-Patienten in den Spitälern sind nicht geimpft, sagte Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) vor den Medien in Bern. Urs Karrer, Vizepräsident der wissenschaftlichen Task-Force, sprach von einer "Epidemie der Ungeimpften". Von den 40 Prozent der Covid-Patienten in den Spitälern, die ihren Ansteckungsort angaben, seien 80 Prozent Rückkehrende aus Südosteuropa. Je nach Region sterben in den Spitälern 25 bis 30 Prozent der Covid-Patienten. Auch wenn aus der Intensivstation entlassen, heisst das aber noch nicht, dass die Folgen der Krankheit behoben sind. Auch der deutsche Gesundheitsminister spricht von einer Pandemie der Ungeimpften. Alle, die können, sollten sich ihren Schutz holen, appelierte er an die Bevölkerung.
Gemäss Angaben der Behörden sei die Delta-Variante massiv agressiver und Covid-Patienten verbrächten durchschnittlich 25 Tage auf der Intensivstation. Die Kosten pro Person sind extrem hoch, mehrheitlich über 100'000 Franken.
In Frankreich, Griechenland, Grossbritannien und anderen Ländern wurde eine Impfpflicht für Personal in der Pflege eingeführt. Hierzulande warnen die Verbände vor einer Impfpflicht. Diese könnte den bereits akuten Fachkräftemangel noch verschärfen. In Eulachtaler Pflegezentren kam es nicht zum ersten mal zu einem Ausbruch. Dies obwohl die Impfquote unter den Bewohnenden rund 80 Prozent, die Quote des Pflegepersonals bei 50 Prozent liege. Im Pflegezentrum Embrach hat man mehrere Impfdurchbrüche festgestellt. Betroffen sind fünf doppelt geimpfte Personen, die Impfung gewährt keinen 100-prozentigen Schutz. Die betroffenen Bewohnenden hätten allerdings einen milden Verlauf. Der beste Beweis, dass die Impfung auch bei einer Ansteckung hilfreich ist.
Das Epidemiegesetz wurde direktdemokratisch mit grosser Mehrheit von der Schweizer Stimmbevölkerung an der Urne angenommen. Diese sieht folgendes in Art. 6 Absatz 2 vor:
2 Der Bundesrat kann nach Anhörung der Kantone folgende Massnahmen anordnen:
- a.
- Massnahmen gegenüber einzelnen Personen;
- b.
- Massnahmen gegenüber der Bevölkerung;
- c.
- Ärztinnen, Ärzte und weitere Gesundheitsfachpersonen verpflichten, bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken;
- d.
- Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären.
Dass der Bundesrat in der jetzigen Situation diese gesetzliche Grundlage nicht umsetzt mag politische Gründe haben, sicher auch Befürchtungen betreffend dem Mangel an Fachpersonal. Aber, dass sich Personen welche für die Pflege und die Gesundheit von Menschen verantwortlich sind, nicht impfen lassen, hinterlässt schon einen besonders schalen Nachgeschmack.
Noch im Sommer verkündete Gesundheitsminister Alain Berset, wenn alle Impfwilligen geimpft sind, kehre das Land zurück zur Normalität. Wann es so weit sei, sagen die Kantone. Dabei bezog sich der Bundesrat auf das 3-Phasen-Modell zu den Öffnungsschritten. In der dritten Phase, der Normalisierungsphase, seien grossflächige Einschränkungen nicht mehr gerechtfertigt.
Diese Pandemie, diese "Seuche", dieses Virus hat uns in den vergangenen Monaten aber gezeigt, dass eine Prognose schwierig ist. In Anbetracht der Belastungssituation in den Spitälern und den Pflegeheimen musste er daher handeln und auch auf Druck der Kantone, der Parteien (ausser der SVP) und vieler Verbände hat er daher die Zertifikatspflicht eingeführt.
Am 13. September war es nun soweit und wer reisen will oder am öffentlichen sozialen Leben teilnehmen möchte, benötigt das Covid-Zertifikat. Es steht Menschen die genesen, geimpft oder getestet sind zur Verfügung. Ob der Bundesrat Tests per 1. Oktober kostenpflichtig macht oder nicht, ist noch unklar. Der Entscheid dürfte sich nicht unwesentlich auf die Impfquote auswirken. Es hat sich in den vergangenen Tagen gezeigt, dass die Zertifikatspflicht viele Menschen zur Impfung bewegt, was bei der tiefen Impfquote in der Schweiz dringend notwendig war und ist.
Persönlich habe ich das Zertifikat in den vergangenen Tagen öfters gezeigt. Ich war in Lokalen in Zürich, Winterthur, Uster, Regensdorf und Thalwil unterwegs. In keinem der besuchten Lokalen gab es Komplikationen. Die Zertifikatspflicht bringt zwar einen gewissen Aufwand mit sich, aber dafür ist die Maskenpflicht für geimpftes Personal und Gäste mit einem Zertifikat aufgehoben und durch die aufgehobenen Abstandsregeln können mehr Gäste bedient werden. Ich besuchte auch verschiedene Standorte der Fitnesscenter von Basefit. Am ersten Tag hinterlegte ich mein Zertifikat und unterschrieb mein Einverständnis, dass die Daten gespeichert werden. Nun gelange ich an jedem der Standorte unkompliziert mit dem Chip in die Innenräumlichkeiten.
In den ersten Tagen war es sicher hilfreich für die Einführung, dass dank des schönen Wetters auch Ungeimpfte die Gastrolokale noch auf der Terrasse besuchen konnten. Bisher habe ich nirgends irgendwelche Schwierigkeiten bemerken können. Ob sich dies mit der Verschlechterung der Wetterlage ändern wird, wird sich noch weisen. Einige Gastrobetriebe bereiten ihre Terrassen vor, bieten Felle und Decken an. So werden bei schönem und doch kaltem Wetter, wohl auch Ungeimpfte und Nichtbesitzende eines Zertifikats mal einen Kafi oder ein Bier im Restaurant oder einer Bar geniessen dürfen.
In der Stadt Winterthur scheint die Umstellung auf die Zertifikatspflicht unproblematisch verlaufen zu sein. Der Betreiber des Winti Fit wird wohl mit einer Busse von bis zu 10'000 Franken zu rechnen haben, weil er die Zertifikatspflicht nicht ordnungsgemäss umsetzte. Sicherheitsdirektor Mario Fehr und Stadträtin Katrin Cometta zogen eine positive Bilanz. Wenig Verzeigungen und grossteils seit Montag eine korrekte Umsetzung.
Die Sonntagszeitung begleitete Polizist*innen in der Stadt Wädenswil, es galt 120 Lokale zu prüfen. Aber auch hier fällt die Resonanz sehr positiv aus.
Wer über ein Zertifikat verfügt, die oder der ist am 13. September zu einer gewissen Normalität zurückgekehrt. Ob es geschickt ist von einer Pandemie der Ungeimpften zu sprechen, wage ich zu bezweifeln, wenn ich auch sehe, was gemeint ist. Radikalisierte Gruppierungen (eine kleine laute Minderheit) spricht von Impfzwang oder Impfpflicht, aber wie lange sollen die Geimpften noch Massnahmen mittragen müssen, welche die Ungeimpften verursachen? Dass da so wenig Verständnis aufgebracht wird, ist bedenklich.
Letztendlich ist die Zertifikatspflicht ein Mittel um einen Lockdown, Lockdown light oder erneuten Shutdown zu verhindern. Ob wir dank dessen gut durch den Winter kommen und weitere gesundheitliche und wirtschaftliche Krisen verhindern, wird sich noch zeigen.